Soziale Kipppunkte

Am 20. August 2018 bestreikte die damals 15-jährige Greta Thunberg den Unterricht vor dem schwedischen Reichstagsgebäude und protestierte für Klimaschutzmaßnahmen.
Ihr Schulstreik fürs Klima löste eine breite mediale Aufmerksamkeit aus und war der Startpunkt für die weltweite Bewegung „Fridays for Future“.
Greta Thunberg hat damit einen sozialen Kipppunkt ausgelöst…

Kipppunkt – was heißt das?

Vielleicht hast du den Begriff Kipppunkt im Zusammenhang mit der Klimakrise und deren ökologischen Folgen schonmal gehört.
Kipppunkte markieren den Moment, in dem eine kleine weitere Veränderung im Klimasystem unumkehrbare Folgen und damit einen dauerhaften Schaden auslöst.
Ein Beispiel sind die Gletscher Grönlands. Durch die Erderwärmung schmelzen die Eisschichten endgültig. Das Schmelzen der Gletscher führt dazu, dass der Meeresspiegel erheblich ansteigt.

Was ist jetzt mit sozialen Kipppunkten gemeint?

Soziale Kipppunkte sind plötzliche und unumkehrbare Veränderungen einer Gesellschaft. Soziale Kipppunkte bringen also Dynamik in eine Gesellschaft. Dazu braucht es nicht zwingend eine Mehrheit, die Veränderungen auslöst – auch das Verhalten einer Minderheit kann sich auf die gesellschaftliche Mehrheit ausbreiten, wie das Beispiel Greta Thunberg zeigt.

Soziale Kipppunkte funktionieren also über soziale Ansteckung. Ist eine kritische Masse überzeugt, wird nur noch ein kleiner Auslöser benötigt, der zu tiefgreifenden Veränderungen führt.
Wie groß die kritische Masse an Menschen sein muss ist unterschiedlich (10-25 %). Mediale Aufmerksamkeit, einflussreiche Personen und ein breites soziales Netzwerk bieten aber eine gute Basis für soziale Kipppunkte.

Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Normen einer Gesellschaft, die wir im Alltag automatisch ausführen, weil wir so sozialisiert wurden: Zum Beispiel fremde oder ältere Menschen zu siezen.
Gesellschaftlichen Normen wurden und werden im Laufe der Zeit hinterfragt und rücken ins Bewusstsein (Bsp. das traditionelle Frauenbild). Ist der Kipppunkt erreicht, tritt ein Wandel der Norm ein und neue Normen gelten.

Soziale Kipppunkte und Klimakrise:

In Bezug auf die Klimakrise wurden bereits einige Grundlagen für soziale Kipppunkte geschaffen wie etwa beispielsweise durch Proteste und Demonstrationen (Fridays for Future, Lützi bleibt) und die anhaltende Medienpräsenz des Themas.

Soziale Kipppunkte und Politik:

Auch die Politik kann dazu beitragen, dass soziale Kipppunkte im Bereich der Klimakrise schneller erreicht werden. Zum Beispiel mit diesen Maßnahmen:

  • Steuerliche und finanzielle Anreize: Anreize für eine nicht-fossile Energieerzeugung schaffen
  • Stadtentwicklung: Kohlenstoffneutrale Städte befördern Abschaffung von Subventionen
  • Klimabildung und -erziehung stärken

Wie kannst Du soziale Kipppunkte anstoßen?

  • Zeige zum Beispiel dein umweltbewusstes Verhalten in der Öffentlichkeit oder gehe mit Freunden und Familienmitgliedern ins Gespräch und lenke dadurch Aufmerksamkeit auf klimafreundliche Normen.
  • Such dir Gleichgesinnte und werde Teil einer Gruppe. Diese Form der Zugehörigkeit ermöglicht es dir deine Emotionen und Motivation mit anderen zu teilen und gemeinsam zu handeln.
  • Du kannst außerdem an Protestaktionen teilnehmen oder Organisationen in deiner Nähe unterstützen.

Hier findest du weitere Infos zu Sozialen Kipppunkten:

 

Identitti – auf der Suche nach Identität

Buchcover "Identitti"

Wer kann und darf ich sein?

Und welche Rolle spielt dabei meine Herkunft? Identität ist oftmals gar nicht so einfach auszuhandeln und kann total herausfordernd sein. So geht es auch der jungen Studentin Nivedita in Mithu Sanyals Roman Identitti – ein Buch, das sich mit Fragen rund um Identität, Herkunft und Selbstwahrnehmung auseinandersetzt und mich mehr als einmal nachdenklich zurückgelassen hat!

Erstmal zurück zum Anfang – worum geht’s? 

Nivedita wohnt in Düsseldorf-Oberbilk, studiert Intercultural Studies an der Heinrich-Heine-Universität und steckt seit ihrer Kindheit in einer Identitätskrise. Mit einem indischen Vater und einer polnischen Mutter ist sie „für immer auf der Suche nach Aufnahme in beiden Camps. weiß und Schwarz, weiß und braun, nur um dann in alle Richtungen nicht genug zu sein, zu wenig beheimatet, zu wenig diskriminiert.“ Nivedita hat also keine Ahnung zu wem oder was sie gehören kann und möchte.

Ihre eigenen Erfahrungen und Gedanken mit Rassismus und auch Sexismus diskutiert die junge Studentin nicht nur auf Twitter und auf ihrem Blog Identitti, sondern auch mit ihrer Lieblingsprofessorin Saraswati – dem indischen Star der Universität, der weiße* Studierende vor die Seminartüre setzt. Saraswati, das wird im Roman schnell klar, ist Niveditas Idol. Durch sie fühlt sich Nivedita erstmals so richtig verstanden und akzeptiert.

Umso erschütternder ist es für Nivedita, als sich herausstellt, dass Saraswati scheinbar gar nicht die ist, für die sie sich ausgegeben hat. Denn hinter ihrer indischen Maske verbirgt sich eine weiße deutsche Frau namens Sarah Vera Thielmann. Während das Internet über diesen Skandal tobt, stellt sich Nivedita ihrer Enttäuschung über Saraswati und beginnt die Suche nach dem Weshalb und Warum.

Heute weiß, morgen Schwarz?

Kann man einfach so seine Hautfarbe und seine Herkunft ändern? Und hat die Gesellschaft in diesem Fall ein Wörtchen mitzureden? Diese Fragen stehen im Zentrum des Romans und werden von den verschiedensten Personen ganz anders wahrgenommen. Neben Nivedita, die versucht, Saraswatis Identitätsfindung nachzuvollziehen, ist ihre Freundin Oluchi der Meinung, dass Saraswati ein klarer Fall von kultureller Aneignung ist. Damit meint Oluchi den Prozess der Übernahme kultureller Traditionen, Symbole oder Gegenstände einer ausgewählten Kultur. Und auch Saraswatis indischer Adoptivbruder Konstantin fühlt sich durch seine Schwester seiner eigenen Identität beraubt.

Spannend fand ich im Aufeinandertreffen der verschiedenen Positionen besonders Saraswatis Standpunkt, denn diese bringt einen interessanten Begriff ins Spiel: transracial. Abgeleitet ist transracial von der Bezeichnung transgender, der Menschen benennt, deren Geschlechtsidentität nicht mit ihrem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht übereinstimmt. Transracial benennt also Menschen, die sich einer anderen als der angeborenen Herkunft oder ethnischen Gruppe zugehörig fühlen: Saraswati ist als deutsche Frau geboren, fühlt sich aber der indischen Kultur zugehörig.

Hängen geblieben ist bei mir in diesem Kontext folgende Aussage der Professorin: „Was wäre der Unterschied, wenn ich schwarz, grün oder rotviolett gestreift wäre?“ Da habe ich mich selbst gefragt: Ja, wo liegt denn der Unterschied? Denn eigentlich ist es doch wirklich egal, oder? Plädieren wir nicht ständig dafür, dass wir keine Unterschiede mehr haben wollen, dass jede:r so sein kann und darf wie er/sie ist? Und wo ziehen wir die Grenze? Gibt es überhaupt eine und wer darf diese ziehen?

Du merkst, das Buch hat ganz schön viele Fragen aufgeworfen, mich definitiv mehr als einmal zum Nachdenken und auch ins Gespräch gebracht – und ehrlich gesagt, konnte Identitti mir auf all meine Fragen keine klaren Antworten geben.
Das macht aber gar nichts, denn stattdessen zeigt der Roman wie divers, zwiegespalten und vielschichtig die ganze Debatte rund um Herkunft und Identität ist. Besonders eindrücklich und nah am realen Alltag habe ich dabei den im Buch beschriebenen Shitstorm empfunden, der den Skandal um Saraswati auf Twitter begleitet.

Auch die verschiedenen Aussagen und Standpunkte der Protagonist:innen machen deutlich: Es ist nicht schlimm, keine klare Antwort zu haben. Vielmehr verfährt Identitti mehrdeutig – lässt unterschiedliche Positionen und Meinungen zu und macht dadurch deutlich, dass es nicht die perfekte Lösung auf alle Fragen gibt, sondern Antworten in einem weiten Spektrum zwischen weiß und Schwarz möglich und in Ordnung sind.
Denn, auch das konnte ich aus dem Roman mitnehmen: Auch bei race handelt es sich um ein kulturelles System der Kategorisierung. Und es lohnt sich auf jeden Fall über dessen Tellerrand hinauszublicken und ins Gespräch zu kommen, um dieses Konstrukt aufzubrechen. Identitti ist da auf jeden Fall ein guter Einstieg!

*Angelehnt an die Schreibweise in Sanyals Roman werden die Begriffe weiß und Schwarz durch Kursivierung oder Großschreibung hervorgehoben, um zu betonen, dass es sich hierbei um kulturell geprägte und konstruierte Kategorien handelt.

Einen weiteren Einblick in den Roman und die Arbeit Sanyals liefert die Fernsehsendung „Titel, Thesen, Temperamente“:


*Inhaltswarnung: Rassismus, Terroranschlag

*Bei einer Inhaltswarnung handelt es sich um die Kennzeichnung sensibler Inhalte und möglicher Triggerpunkte. Sie soll dazu dienen, dass Du Dich als Leser:in auf die angesprochenen Themen im Buch vorbereiten kannst bzw. darüber informiert wirst, welche potentiell triggernden Inhalte im Buch vorkommen werden.

Mithu Sanyal
Identitti
btb Taschenbuch 2023
432 Seiten
13,00 Euro

Judith Heruc
freie Mitarbeiterin youngcaritas Deutschland

Suffizienz

Die Ressourcen sind endlich, doch wir verbrauchen drei mal mehr, als der Planet regeneriert. Wir stoßen viel CO2 aus, mit dramatischen Folgen für das Klima und Arten sterben in rasantem Tempo aus.

Soweit, so klar. Und traurig. Was kann man tun, um das zu ändern?

Der Begriff Suffizienz bedeutet „ausreichen“ oder „genügen „. Suffizienz ist neben Effizienz und Konsistenz eine Nachhaltigkeitsstrategie. Das meint: Wege, wie man es schafft, so zu wirtschaften, dass die Umwelt und das Klima nicht überlastet und zerstört werden.

  • Effizienz

= bedeutet besser produzieren

Technische Lösungen helfen, mit weniger Energie und weniger Material mehr Leistung zu bringen. Zum Beispiel: LED-Lampen statt Glühbirnen, neue Automotoren oder Kühlschränke, die sparsamer sind.

Knackpunkt: der Rebound-Effekt Weil man ja Verbrauch spart, werden mehr Lampen eingesetzt, größere Autos und größere Kühlschränke produziert. Am Ende wird mehr verbraucht als vorher …

  • Konsistenz 

= bedeutet anders produzieren

Man sucht Technologien und Stoffe, die weniger schädlich sind. Zum Beispiel: Erneuerbare Energien (Strom, Wind) statt fossile Energien (Kohle, Öl, Gas). Knackpunkt am Beispiel Autos: Auch Elektro-Autos sind schädlich: giftige Gewinnung der Rohstoffe, Energie für die Herstellung und das Fahren …

  • Suffizienz

= bedeutet weniger produzieren und konsumieren

Bedürfnisse werden an sich hinterfragt. Ziel: den Bedarf an Ressourcen bewußt zu reduzieren, bis er das „rechte Maß hat.“Beispiele: Seltener fahren – weil man öfter im Home-Office arbeitet. Kürzere Wege – Stadtteile so gestalten, dass der Laden ums Eck ist.

Knackpunkt: Viele verbinden Wohlstand und Lebensqualität damit, wie viel man von was besitzt. Weniger Konsum wird als Einschränkung oder Rückschritt wahrgenommen.

Beispiele wie es sein könnte

  • nutzen statt besitzen

Wer ein Werkzeug braucht, geht nicht in den Baumarkt und kauft eines, sondern in die öffentliche „Bibliothek der Dinge“ und leiht es aus.

  • reparieren statt neu kaufen

Produkte sind so designed, dass sie lange halten und repariert werden können. Es gibt Ersatzteile und Anleitungen. Dazu sind Hersteller gesetzlich verpflichtet. Reparieren lernt man schon in der Schule.

Eine Kultur des „Weniger ist mehr“

  • Entschleunigung
  • Entflechtung
  • Entkommerzialisierung
  •  Entrümpelung

Aber was war eigentlich mit diesem Typen auf dem Beitragsbild?

Menschen, die über viel Geld verfügen, verursachen zigfach mehr CO2-Ausstoß, als Menschen mit wenig Geld. Suffizienz, die Frage nach dem „richtigen Maß“, zielt auf klimagerechtes Verhalten – gerade bei denen, die viel verschmutzen.

 

CO₂-Fußabdruck

Vom CO₂-Fußabdruck hat mittlerweile bestimmt jede:r schon mal gehört. Dabei handelt es sich um ein Messinstrument, das zeigt, wie viele klimaschädlichen Spuren ein Mensch auf der Erde hinterlässt. In Deutschland verursacht jede Person im Durchschnitt 11 Tonnen CO₂ pro Jahr, in Uganda zum Beispiel 0,1 Tonnen CO₂.

Auf verschiedenen Seiten im Netz finden sich bereits zahlreiche Selbsttests. Mit ein paar wenigen Angaben beispielsweise …

  • zur Mobilität
  • zum Stromverbrauch
  • zur Ernährung
  • zum Konsumverhalten

…können sich Nutzer:innen ihren persönlichen CO₂-Fußabdruck berechnen lassen und sehen in welchen Bereichen sie wieviel CO₂ verursachen und wie sie im Vergleich abschneiden.

Die Grundidee hinter dem CO₂-Fußabdruck kam dem Schweizer Studenten Mathias Wackernagel 1994. In seiner Doktorarbeit entwickelte er den ökologischen Fußabdruck. Wackernagel wollte den ökologischen Fußabdruck nicht auf den einzelnen Menschen anwenden, sondern berechnen, wie klimaschädlich ganze Städte und Länder leben und wirtschaften.

Die Mineralölgesellschaft BP nutzte die Idee des ökologischen Fußabdrucks und startete 2004 eine große Werbekampagne zum individuellen CO₂-Fußabdruck. Ziel war es, den Eindruck zu erwecken, dass die Verantwortung für die Klimakrise bei den einzelnen Menschen liegt. Die Botschaft lautete: Die Konzerne können nichts dafür, wenn die Bevölkerung sich unökologisch verhält – es ist quasi der Wille des Volkes.

Die Folge war, dass zu wenig im Klimaschutz passierte. Die Politik handelte nicht. Doch der/die Einzelne kann nur einen Teil selbst ändern. Ohne entsprechende öffentliche Infrastruktur, Gesetze, Regeln und Angebote, ist es für den/die Einzelne schwer sich anders zu verhalten. Es sind umwälzende Veränderungen durch die Politik nötig, um in Bereichen wie dem Verkehr oder der Wirtschaft Emissionen zu senken.

Gegenentwurf: Der ökologische Handabdruck

Auch wenn der CO₂-Abdruck zeigt, in welchen Bereichen man Emissionen einsparen müsste, bleibt man als Einzelne:r recht machtlos zurück. Um dem entgegenzuwirken wurde 2007 vom Centre for Environment Education in Ahmedabad in Indien der ökologische Handabdruck ins Leben gerufen. Dieser soll Verhalten sichtbar machen, das sich positiv aufs Klima auswirkt, zum Beispiel weil man andere motiviert mitzumachen, oder weil man dadurch Regeln ändert. Zwar ist der Handabdruck in seiner Messbarkeit noch nicht ganz genau, doch macht er definitiv Laune, sich fürs Klima einzusetzen.

Der CO₂-Fußabdruck ist trotzdem hilfreich: Wenn wir wissen, dass wir künftig auf 2,3 Tonnen (statt 11 Tonnen) pro Person kommen müssen, um das 1,5 Grad Ziel zu schaffen, wird deutlich, wieviel zu tun ist und wir können Forderungen formulieren.