Ansgar Drücker, Geschäftsführer von IDA e.V. (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit), hat am Freitag, den 23.09.2016 bei we.confer eine Keynote gehalten. Hier findet Ihr eine Zusammenfassung.
Was eine offene Gesellschaft braucht, um nicht zu scheitern
- Ein positives Menschenbild
- Machtstrukturen überprüfen und den Umgang miteinander neu aushandeln
- Gleichberechtigung, Antidiskriminierung und Solidarität mit Schwächeren
- Begegnungen fördern
- Gerechtigkeit als Ziel
- Schwärmen und lernen von der offenen Gesellschaft und für sie werben
Die Idee der offenen Gesellschaft geht von einem positiven Menschenbild aus. Menschen haben große Entscheidungsfreiräume und vielfältige Lebensstile. Wenn sich Lebensäußerungen Einzelner in die Quere kommen, müssen Konflikte in Aushandlungsprozessen möglichst auf Augenhöhe diskutiert und geklärt werden. Soweit das Ideal. Sobald es um Rassismus und Diskriminierung geht, kommt aber die Ebene der Macht hinzu, kommen Hierarchien ins Spiel. Die Mehrheit setzt ihre Normalitäten durch. Die, die schon immer da waren, wollen, dass es so bleibt, wie sie es sich eingerichtet haben. Die offene Gesellschaft stellt also Strukturen und Regeln immer wieder auf den Prüfstand. Und sie ist nur dann wirklich offen, wenn sie Minderheiten schützt und zumindest als Ziel gleiche Lebenschancen für alle verwirklichen möchte. Offene Gesellschaft bedeutet also weit mehr als „Jeder wird mit seinem Lebensweg glücklich“. Offene Gesellschaft kann nur funktionieren auf Basis von Gleichberechtigung, Antidiskriminierung und Solidarität mit Schwächeren.
Angst, Neid und Hass sind die derzeit sichtbarsten Gifte für die offene Gesellschaft. Das bedeutet aber, dass wir die Menschen nicht nur auf der argumentativen Ebene, sondern auch emotional für die offene Gesellschaft gewinnen müssen. Denn Angst, Neid und Hass sind häufig irrationale Gefühle, bei denen wegdiskutieren wollen nicht weiterhilft.
Vielleicht bin ich auch einer dieser naiven Gutmenschen, aber ich glaube – neben klaren gesellschaftlichen Regelungen für Solidarität und gegen Diskriminierung – weiterhin an die Kraft der Begegnung von Menschen über Grenzen und verschiedenste Lebenswege hinweg. Und nirgendwo habe ich das so deutlich erlebt wie in der Flüchtlingshilfe. Menschen, die einfach nur helfen wollten, merkten dass ihre Erwartung der Dankbarkeit Geflüchtete bevormundet, dass ihre Vorstellungen, was gut für Geflüchtete wäre, mal passten und mal überhaupt nicht passten. Sie merkten, dass sie viele Reaktionen der Geflüchteten auf Anhieb nicht verstanden. Aber sie waren schon so gut im Kontakt, dass sie versucht haben zu verstehen und dabei dazugelernt haben. Sie haben lernen müssen, auch die Wut und Enttäuschung der Geflüchteten zu ertragen, ja zu akzeptieren, dass sie Teil dieses Deutschlands sind, dass neben dem freundlichen Gesicht der Willkommenskultur auch eine verregelte, manchmal geradezu verriegelte Gesellschaft ist. Sie wurden mit ihrer eigenen Machtlosigkeit konfrontiert, wenn sie Briefe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übersetzt und erläutert haben oder Amtsgänge begleitet haben. Und sie haben viel über ihre eigenen Grenzen und Normalitätsvorstellungen gelernt.
Eine offene Gesellschaft ist nicht nur eine politische und gesellschaftliche Herausforderung, sondern auch eine Herausforderung für uns selbst, unsere eigene Toleranz und unseren eigenen Respekt vor den Lebenssituationen anderer Menschen. Eine offene Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn Gerechtigkeit ein wichtiges gesellschaftliches Ziel ist und Diskriminierung gesellschaftlich und individuell geächtet ist. Kontrovers diskutiert werden wird weiterhin die Frage, ob und wie wir die Menschen, die sich einer offenen Gesellschaft offen verweigern, mitnehmen. Man kann dabei unterscheiden zwischen dem Umgang mit der AfD und dem Umgang mit der Wählerinnen und Wählern der AfD. Man kann versuchen deutlich zu markieren, dass man menschenfeindliche, rassistische und diskriminierende Positionen ablehnt, aber nicht unbedingt den Menschen, der sie äußert. Vielleicht sollten wir uns nicht die Köpfe über den richtigen Umgang mit den Feinden der offenen Gesellschaft heißreden, sondern stärker überlegen, wie wir von der offenen Gesellschaft, die wir in Teilen längst verwirklicht haben, schwärmen und lernen und für sie werben können.
Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. (IDA) hat seinen Sitz in Düsseldorf und ist bundesweit tätig. Es versteht sich als das Dienstleistungszentrum der Jugendverbände für die Themenfelder (Anti-)Rassismus, Rechtsextremismus, Migration, Interkulturalität und Diversität. Weitere Informationen unter www.idaev.de.
Eine Antwort auf „Was eine offene Gesellschaft braucht, um nicht zu scheitern – Ansgar Drücker“