Identitti – auf der Suche nach Identität

Buchcover "Identitti"

Wer kann und darf ich sein?

Und welche Rolle spielt dabei meine Herkunft? Identität ist oftmals gar nicht so einfach auszuhandeln und kann total herausfordernd sein. So geht es auch der jungen Studentin Nivedita in Mithu Sanyals Roman Identitti – ein Buch, das sich mit Fragen rund um Identität, Herkunft und Selbstwahrnehmung auseinandersetzt und mich mehr als einmal nachdenklich zurückgelassen hat!

Erstmal zurück zum Anfang – worum geht’s? 

Nivedita wohnt in Düsseldorf-Oberbilk, studiert Intercultural Studies an der Heinrich-Heine-Universität und steckt seit ihrer Kindheit in einer Identitätskrise. Mit einem indischen Vater und einer polnischen Mutter ist sie „für immer auf der Suche nach Aufnahme in beiden Camps. weiß und Schwarz, weiß und braun, nur um dann in alle Richtungen nicht genug zu sein, zu wenig beheimatet, zu wenig diskriminiert.“ Nivedita hat also keine Ahnung zu wem oder was sie gehören kann und möchte.

Ihre eigenen Erfahrungen und Gedanken mit Rassismus und auch Sexismus diskutiert die junge Studentin nicht nur auf Twitter und auf ihrem Blog Identitti, sondern auch mit ihrer Lieblingsprofessorin Saraswati – dem indischen Star der Universität, der weiße* Studierende vor die Seminartüre setzt. Saraswati, das wird im Roman schnell klar, ist Niveditas Idol. Durch sie fühlt sich Nivedita erstmals so richtig verstanden und akzeptiert.

Umso erschütternder ist es für Nivedita, als sich herausstellt, dass Saraswati scheinbar gar nicht die ist, für die sie sich ausgegeben hat. Denn hinter ihrer indischen Maske verbirgt sich eine weiße deutsche Frau namens Sarah Vera Thielmann. Während das Internet über diesen Skandal tobt, stellt sich Nivedita ihrer Enttäuschung über Saraswati und beginnt die Suche nach dem Weshalb und Warum.

Heute weiß, morgen Schwarz?

Kann man einfach so seine Hautfarbe und seine Herkunft ändern? Und hat die Gesellschaft in diesem Fall ein Wörtchen mitzureden? Diese Fragen stehen im Zentrum des Romans und werden von den verschiedensten Personen ganz anders wahrgenommen. Neben Nivedita, die versucht, Saraswatis Identitätsfindung nachzuvollziehen, ist ihre Freundin Oluchi der Meinung, dass Saraswati ein klarer Fall von kultureller Aneignung ist. Damit meint Oluchi den Prozess der Übernahme kultureller Traditionen, Symbole oder Gegenstände einer ausgewählten Kultur. Und auch Saraswatis indischer Adoptivbruder Konstantin fühlt sich durch seine Schwester seiner eigenen Identität beraubt.

Spannend fand ich im Aufeinandertreffen der verschiedenen Positionen besonders Saraswatis Standpunkt, denn diese bringt einen interessanten Begriff ins Spiel: transracial. Abgeleitet ist transracial von der Bezeichnung transgender, der Menschen benennt, deren Geschlechtsidentität nicht mit ihrem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht übereinstimmt. Transracial benennt also Menschen, die sich einer anderen als der angeborenen Herkunft oder ethnischen Gruppe zugehörig fühlen: Saraswati ist als deutsche Frau geboren, fühlt sich aber der indischen Kultur zugehörig.

Hängen geblieben ist bei mir in diesem Kontext folgende Aussage der Professorin: „Was wäre der Unterschied, wenn ich schwarz, grün oder rotviolett gestreift wäre?“ Da habe ich mich selbst gefragt: Ja, wo liegt denn der Unterschied? Denn eigentlich ist es doch wirklich egal, oder? Plädieren wir nicht ständig dafür, dass wir keine Unterschiede mehr haben wollen, dass jede:r so sein kann und darf wie er/sie ist? Und wo ziehen wir die Grenze? Gibt es überhaupt eine und wer darf diese ziehen?

Du merkst, das Buch hat ganz schön viele Fragen aufgeworfen, mich definitiv mehr als einmal zum Nachdenken und auch ins Gespräch gebracht – und ehrlich gesagt, konnte Identitti mir auf all meine Fragen keine klaren Antworten geben.
Das macht aber gar nichts, denn stattdessen zeigt der Roman wie divers, zwiegespalten und vielschichtig die ganze Debatte rund um Herkunft und Identität ist. Besonders eindrücklich und nah am realen Alltag habe ich dabei den im Buch beschriebenen Shitstorm empfunden, der den Skandal um Saraswati auf Twitter begleitet.

Auch die verschiedenen Aussagen und Standpunkte der Protagonist:innen machen deutlich: Es ist nicht schlimm, keine klare Antwort zu haben. Vielmehr verfährt Identitti mehrdeutig – lässt unterschiedliche Positionen und Meinungen zu und macht dadurch deutlich, dass es nicht die perfekte Lösung auf alle Fragen gibt, sondern Antworten in einem weiten Spektrum zwischen weiß und Schwarz möglich und in Ordnung sind.
Denn, auch das konnte ich aus dem Roman mitnehmen: Auch bei race handelt es sich um ein kulturelles System der Kategorisierung. Und es lohnt sich auf jeden Fall über dessen Tellerrand hinauszublicken und ins Gespräch zu kommen, um dieses Konstrukt aufzubrechen. Identitti ist da auf jeden Fall ein guter Einstieg!

*Angelehnt an die Schreibweise in Sanyals Roman werden die Begriffe weiß und Schwarz durch Kursivierung oder Großschreibung hervorgehoben, um zu betonen, dass es sich hierbei um kulturell geprägte und konstruierte Kategorien handelt.

Einen weiteren Einblick in den Roman und die Arbeit Sanyals liefert die Fernsehsendung „Titel, Thesen, Temperamente“:


*Inhaltswarnung: Rassismus, Terroranschlag

*Bei einer Inhaltswarnung handelt es sich um die Kennzeichnung sensibler Inhalte und möglicher Triggerpunkte. Sie soll dazu dienen, dass Du Dich als Leser:in auf die angesprochenen Themen im Buch vorbereiten kannst bzw. darüber informiert wirst, welche potentiell triggernden Inhalte im Buch vorkommen werden.

Mithu Sanyal
Identitti
btb Taschenbuch 2023
432 Seiten
13,00 Euro

Judith Heruc
freie Mitarbeiterin youngcaritas Deutschland

Das Kopftuch – eine Reise in meine Welt

Kopftuch

Mein Name ist Yumna Rahhal, ich bin 20 Jahre alt und mache gerade meinen Freiwilligendienst bei youngcaritas Deutschland.
Anlässlich der Internationalen Wochen gegen Rassismus 2023 habe ich auf Instagram ein Projekt zum Thema Kopftuch veröffentlicht🧕.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass ich um die Welt geflüchtet bin 🌍 und es kam vor, dass ich mit vielen Situationen im Zusammenhang mit dem Kopftuch🧕 konfrontiert war, die von Extremismus und religiöser Intoleranz bis hin zu Islamophobie und Hijab-Phobie reichten.

Ich habe in beiden Fällen sehr unter dem Hijab gelitten, als ich ihn an- und ausgezogen habe. Ich musste nämlich den Hijab dreimal ablegen😢 (mehr dazu erfährst du in Folge 12). Vor zwei Monaten habe ich mich entschieden, endlich wieder den Hijab zu tragen, nach einer großen Veränderung in meinem Leben💖.

Deshalb möchte ich dich mitnehmen auf eine Reise in meine Welt☺️. Und ich würde mich freuen, wenn du mir erzählst, was dir auf dieser Reise durch den Kopf geht. Ich bin sehr offen für alle Meinungen, Ideen und Fragen✌️.

In meinem Projekt werde ich darüber aufklären, wie wichtig es ist, Vielfalt zu respektieren und zu feiern, mit besonderem Schwerpunkt auf der muslimischen Kultur und Identität. Das Projekt umfasst Diskussionen, Fakten, Erfahrung und Aktivitäten, die stattgefunden haben, um Empathie, Verständnis und Respekt für verschiedene Menschen, insbesondere Muslime, zu fördern.

Ich wünsche dir eine angenehme, interessante, informative und spannende Reise 🕊

Deine „Reiseleiterin“
Yumna Rahhal

Kopftuch

Hier findest du alle meine Beiträge, die ich im Rahmen des Projektes auf Instagram gepostet habe:

  1.  Begrüßung
  2. Was ist das Kopftuch?
  3. Was enthüllt das Kopftuch?
  4. Pro vs. Contra Argumente 
  5. Kopftuchverbot in der EU
  6. Kopftuchzwang im Iran
  7. Wir fragen … Mutter und Töchter
  8. Wir fragen … Geschwister
  9. Wir fragen … beste Freundinnen
  10. World Hijab Day
  11. No Hijab Day
  12. Das Ende: Lass uns entscheiden 
Kopftuch
Viele Frauen mit und ohne Kopftuch

Erzählende Affen – welche Geschichte erzählst du?

Das Buch "Erzählende Affen"

Bei guten Geschichten bin ich sofort dabei – und deswegen habe ich mich schon sehr darauf gefreut, Erzählende Affen von Samira El Ouassil und Friedemann Karig zu lesen! Ob Rassismus, das Bild der Frau, Verschwörungstheorien oder Donald Trump – die beiden blicken hinter Geschichten, Mythen und Lügen, die wir uns tagtäglich erzählen. Was mich an diesem Buch so gefesselt hat und warum es für jede:n für uns wichtig ist, erzähle ich euch in dieser Rezension!

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Was haben die Bibel und Pretty Woman oder Donald Trump und Angela Merkel gemeinsam? Sie alle erzählen Geschichten. Und mal ehrlich gesagt – gute Geschichten, wer liebt sie denn auch nicht?  Geschichten sind überall um uns herum, waren immer schon da und begleiten uns auch weiterhin. Sie stecken eigentlich in allem, was uns umgibt: in Filmen, unseren liebsten Fernsehsendungen, Radio, Videospielen, Musik, Instagram, in Gesprächen mit unseren Nachbarn, in Kunstwerken …

Ihr seht schon, diese Liste lässt sich noch um einiges verlängern und das zeigt nicht nur wie wichtig Geschichten für uns Menschen sind, sondern auch, welche Macht sie über uns als einzelne Person aber auch als Gesellschaft haben. Denn Geschichten und Erzählungen können stärker sein, als es auf den ersten Blick scheint. Sie unterhalten oder erhellen uns nicht nur, sie wirken auch unterschwellig, können unser Denken beeinflussen und tragen dazu bei, wie wir unsere Wirklichkeit letztendlich gestalten.

„Wir denken und leben in Geschichten. Sie stecken in Worten und Bildern, in Büchern und Filmen, im Theater und in Videospielen, in jeder und jedem von uns.“ (S. 213)

Dieser Meinung sind die beiden Autor:innen Samira El Ouassil und Friedemann Karig, die uns Leser:innen in ihrem Buch Erzählende Affen auf eine wirklich spannende Reise durch die eindrücklichsten, mächtigsten aber zugleich auch erschreckendsten Erzählungen unserer westlichen Gesellschaft führen. In ihrem Buch, das 2021 beim Ullstein Verlag erschienen ist, hinterfragen die beiden sachlich aber zugleich auch unterhaltsam formuliert, Erzählungen, Mythen und Geschichten von der Antike bis zur Gegenwart. Im Zentrum stehen dabei die Narrative – Kerne der Erzählungen, die sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg durchgesetzt haben und in Geschichten unserer heutigen Zeit immer noch auftauchen. El Ouassil und Karig erörtern im Laufe ihres Buches zuerst, warum wir Menschen überhaupt Geschichten erzählen, führen uns kurz und knackig aber leicht verständlich an bekannte Erzählmuster und Kategorien heran und – das ist der spannendste und größte Teil des Buches – nehmen Narrative unter die Lupe, die heute Populärkultur, Politik und Massenmedien bestimmen – und genau das macht das Buch auch so kurzweilig, denn die Beispiele, die die beiden zur Erklärung benutzen, kennen wir alle!

So führen uns die beiden in ein dominierendes, erzählerisches Konstrukt – die Heldenreise – ein. Unfreiwillig, meist durch das Auftreten eines unerwarteten Konflikts bricht der Held aus seiner gewohnten Umgebung in die weite Welt auf und muss sich mit Hilfe von Mentor:innen, Freunden und Mitstreiter:innen schließlich dem Antagonisten stellen, um siegreich nach Hause zurückzukehren. So sind Geschichten aufgebaut, die jede:r von uns kennt, sei es Harry Potter, Der Herr der Ringe oder auch Mulan. Und auch in Informations- und Nachrichtendiensten tauchen Aspekte der Heldenreise immer wieder auf.

„Sprache [kann] nicht nur ausgrenzen, sondern sogar destruktiv sein. Sie hat jedoch auch eine schöpferische Kraft, durch die neue Wirklichkeiten erschaffen werden können.“ (S. 155)

Bei ihren Schilderungen machen El Ouassil und Karig dann auch folgendes klar: Sprache ist bei jeder Erzählung DAS Werkzeug und dabei nicht zu unterschätzen. Hier nennen die beiden ein eindrückliches Beispiel: das Wort „hautfarben“. Wer hat jetzt auch zuerst an ein helles beige gedacht? „Das Wort ist hierbei Ausdruck einer gesellschaftlichen Selbsterzählung, in welcher alles außer Weiß als Abweichung gilt“ (S. 155), so die Autor:innen. Dieser Grundgedanke verpackt in einem einzigen Wort schließt also ganze Personengruppen aus und ich finde es wirklich krass, wie sich dieses Denkmuster in unserem Gehirn festgesetzt hat, dass wir bei „hautfarben“ meistens sofort an Weiße Haut denken, als an eine andere Farbe. Es kommt also nicht nur darauf an Was erzählt wird, sondern auch Wie es erzählt wird.

Und das führt uns schon zum spannenden Teil des Buches. Die Autor:innen nehmen uns mit auf eine Reise durch verschiedene „Märchen für Erwachsene“ (kurz: MfE) und legen damit starke und zugleich gefährlichen Narrative offen, die derzeit unser Denken, wenn nicht sogar unsere Welt bestimmen.

„Von diesem Glauben an unseren potenziellen Erfolg und an die Idee, dass wir ganz allein für unseren Erfolg verantwortlich sind, profitiert unser gesamtes Gesellschaftssystem – und insbesondere unsere Wirtschaft.“ S. 253

Eines der ersten MfE‘s ist mir in meinem Leben immer wieder begegnet und ich glaube, ich bin damit nicht allein. Es lautet: Jeder ist seines Glückes Schmied … Wie oft hast du dieses Sprichwort schon gehört? Oder hast gedacht: Wenn ich nur hart genug arbeite und genug Energie reinstecke, dann werde ich … erreichen? Dass jede:r sich seinen/ihren eigenen Platz an der Sonne verdienen kann, erscheint doch eigentlich auch plausibel. Bei unserer heutigen Leistungsgesellschaft, die immer mehr fordert und Druck aufbaut, ist dieses System, das sich übrigens Meritokratie nennt, aber ein gefährliches Narrativ. Denn es impliziert auch: Wer nichts erreicht oder scheitert, ist schlicht und einfach selbst daran schuld. Wobei das überhaupt nicht so ist: „Die meritokratische Auffassung verkennt, dass die Zusammenhänge zu Bildung, Berufen und Beziehungen nicht allen gleichermaßen zur Verfügung stehen.“ Wenn ich also ein bestimmtes Ziel nicht erreiche, liegt es nicht unbedingt an mir, denn darauf machen die Autor:innen aufmerksam: Viele gesellschaftliche Strukturen wirken (leider) immer noch mit, wie beispielsweise der Status der Eltern.

„Weiße Menschen haben sich eine Geschichte gebaut, in der sie verdienen, dort zu sein, wo sie sind; und in der andere selbst schuld daran sein müssen, dass sie sich in schlechteren Positionen befinden.“ (S. 258)

Ein weiteres MfE, das mich wirklich sprachlos zurückgelassen hat, ist, was El Ouassil und Karig als „Erfindung des Schwarzseins“ bezeichnen. Und hier kommt die Heldenreise wieder ins Spiel, besonders die Schaffung eines Antagonisten – in diesem Fall die Schaffung eines „Anderen“. Die Autor:innen machen darauf aufmerksam, dass die Bezeichnung „Menschenrasse“ eine Fiktion ist – und zwar eine Fiktion, die schlicht und einfach auf Erzählungen beruht. Sprachlos zurückgelassen haben mich die Erzählungen aus dem Jahr 1352, in denen schon berichtet wurde, wie Schwarze Menschen gezielt durch falsche Erzählungen als die Anderen, als primitive oder auch kannibalistische Menschen inszeniert wurden, um sich selbst (als Weiße Gesellschaft) in eine bessere und überlegenere Position zu bringen und die Sklaverei zu rechtfertigen … Das Traurige und Erschreckende daran, ist nicht nur, dass es damals schon funktioniert hat, sondern die Fiktion der Menschenrassen bis heute immer noch in vielen Denkmustern zu finden ist.

„Die Vorstellung von der Frau als hinterhältigem Wesen mit verstärkten Motiven und dem Mann als triebgesteuerter Marionette zieht sich weiterhin durch Märchen, Mythen, Popkultur und Journalismus.“ (S. 355-356)

Ein weiteres MfE, das mich wirklich sehr zum Nachdenken angeregt hat, sind die Narrative rund um die Frau. Die Autor:innen zeichnen einen spannenden Weg von der Bibel bis zu Pretty Women und legen verschiedene Erzählmuster über Frauen offen, die heute noch in gefühlt jeder Netflix-Romanze reproduziert werden. Hier nur einige ihrer Beispiele: Die weibliche Sünde (abgeleitet von Eva, die im Paradies von der verbotenen Frucht nascht und zum Nährboden der Misogynie wird), die verführende Frau, die vom Mann veredelte Frau oder auch die gefährliche Frau, die ihre Sexualität als Waffe einsetzt, um Männer zu manipulieren. Auch krass: Wusstest du, dass es eine Gruppe von Männern gibt, die sich als Incels bezeichnen, was für involuntary celibate steht – also Männer, die glauben, dass sie  unfreiwillig enthaltsam leben müssen, weil sie von Frauen immer zurückgewiesen werden? Diese Männer glauben an die geschlechtliche Überlegenheit des Mannes und reproduzieren Mysogynie – einfach gruselig…

„Dieses Narrativ – wähle deine Liebe genau aus und bleibe dabei! – wurde zur vorherrschenden Schablone unserer amourösen wie sexuellen Vorstellungen und gleichzeitig unserer populärsten Geschichten.“ S. 354

Aber auch die Monogamie wurde von den beiden Autor:innen als MfE bezeichnet, als Märchen, dass in der Monogamie die einzig wahre Form der Liebe sieht. Und ich muss ehrlich sagen, dieses Narrativ hat sich auch in meiner Denkweise verfangen. Warum? Weil ich bisher nur Geschichten (Filme, Serien, Bücher aber auch Familie) konsumiert habe, die die Monogamie als das einzig wahre Liebesglück definieren. Und warum ist das so? Weil es von Epoche zu Epoche, von Jahrhundert zu Jahrhundert so weitergegeben wurde.

Neben diesen MfEs hat das Buch noch viele weitere zu bieten: Welche Tiefengeschichte haben die USA und Deutschland? Warum kam Donald Trump an die Macht? Warum sind Verschwörungserzählungen so hoch im Kurs? Warum sind Klimaerzählungen in Film und Fernsehen zum Scheitern verurteilt? Und natürlich die Frage aller Fragen: Sind wir überhaupt noch zu retten? Und falls ja, wie? Lest einfach selbst rein, lasst euch überraschen, blickt hinter Vorhänge und findet heraus, mit welchen Märchen ihr bereits konfrontiert wurdet. El Ouassil und Karig haben mit Erzählende Affen ein ultimativ spannendes Sachbuch geschrieben, dass mich gefesselt und an vielen Stellen sprachlos zurückgelassen hat. Witz, Sarkasmus aber auch Ernst wechseln sich ab und bescheren die ein oder anderen „Aha“ und „Oha“ Momente.  Mit ausführlich recherchierten Beiträgen und anschaulichen Beispielen trägt das Buch dazu bei zu verstehen, warum Geschichten eine so große Macht über uns haben und wie sie im Alltag in den Medien funktionieren. Aber nicht nur das: Das Buch regt zum Nachdenken an. Zum Nachdenken darüber, welche Geschichten und Erzählungen wir selbst für wahr hielten, was wir über uns selbst erzählen und wie wir in Zukunft vielleicht besser erzählen können und sollten …

Judith Heruc
youngcaritas Deutschland

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